Schule für mehrfachbehinderte blinde und sehbehinderte Kinder

Schule fürs Leben:
Kleines Orientierungs-Ein-mal-eins

Kontrastreiche Farben wie Rot, Blau, Gelb und Grün wird man im Schulgebäude der Blindeninstitutsstiftung in Regensburg vergeblich suchen. Stattdessen wurde eine reizarme Umgebung geschaffen, in der die individuellen Fähigkeiten der sehbehinderte und mehrfachbehinderten Kinder und Jugendlichen optimal gefördert wird. Hier lernen sie, ein selbstständiges Leben zu führen und sich an unterschiedlichen Raumklängen, Lichtverhältnissen und Leitlinien zu orientieren.

Schulgebäude der Blindeninstitutsstiftung RegensburgEingang der Blindenschule RegensburgSchul-Garten

Am Stadtrand von Regensburg, gegenüber der ehemaligen Klosteranlage Prüfening, wurde im Jahr 2005 das neue Gebäude der Blindeninstitutsstiftung Regensburg bezogen. Entstanden ist hier auf rund 12.000 qm eine Schule mit Tagesstätte und Internat inklusive Freianlagen mit Sporteinrichtungen, Sporthalle und Therapiebad. Unterrichtet werden derzeit etwa 100 seh- und mehrfachbehinderte Schüler im Alter von drei bis 21 Jahren. Außerdem ist in den neuen Räumlichkeiten eine Kindergartengruppe des Montessori-Vereins Regensburg untergebracht. Schulrektor Wolfgang Lebert sieht darin eine hervorragende Möglichkeit, behinderte und nicht behinderte Kinder zusammenzubringen. Dabei gebe es keine erzwungene Integration, sondern die Gruppen können in Kontakt treten, wenn sie es möchten.

Schwellenlose Erschließung

Das Gebäude ist das Ergebnis eines EU-offenen, zweiphasigen Wettbewerbs, aus dem die Georg Scheel Wetzel Architekten im Jahr 2000 als Sieger hervorgingen. Aufgabe war es nicht nur, die Neubauten der Blindeninstitutsstiftung in eine Hang-Topografie zu integrieren, sondern auch, eine eindeutige Stadtkante zu schaffen und den Übergang in die Landschaft neu zu definieren. Entstanden sind eingeschossige Schulbereiche, die sich in geringen Höhenschritten den Hang hinaufstaffeln und in die Landschaft verzahnen. Dabei war zu beachten, dass für die seh- und mehrfachbehinderten Schüler alle Bereiche schwellenlos zugänglich sein mussten. So ziehen sich jetzt überall großzügige Rampenanlagen durch Schulgelände und Schulgebäude. Die Hauptrampe zum polygonen Vorplatz überwinden die Schüler in Taxis oder Bussen. Der erhöhte Hof wird im Nord-Westen von der Pausenhalle, im Süden von der zweigeschossigen Verwaltungs- und Erschließungsspange und im Westen von der Sporthalle mit zwei Therapiebecken eingerahmt. Jeden morgen werden die Schüler direkt am Eingang zu ihrem Schulflügel abgesetzt und nachmittags auch wieder abgeholt.

Räume mit deckenhohen FensternSchulflur mit einer verglasten SeiteFlur mit lang gezogener RampeFlur mit seitlicher Fensterfront und Flur mit künstlicher Beleuchtung2 Treppenaufgänge mit Aufmerkmskeitsfelder und beidseitigen HandläufenWasserbecken im Raum mit deckenhohen Fenstern

Auf dem Weg in ihre Klassenräume kreuzen sie den Hauptkorridor, der alle Gebäudeflügel miteinander verbindet und barrierefrei erschließt. Parallel dazu befinden sich die allgemeinen Fachräume wie der Computerraum, ein Spiel- und Bewegungsraum, ein Musik- und Rhythmikraum sowie eine Lehrküche mit unterfahrbaren und höhenverstellbaren Küchenzeilen. Im Obergeschoss darüber sind Verwaltung und Therapie untergebracht. Zu erreichen sind sie über drei Erschließungsblöcke, jeder mit Aufzug und Treppenhaus. Die vier Schulflügel beherbergen jeweils eine Schulstufe. Sie sind räumlich alle gleich aufgebaut, um den Schülern beim Übergang von einer Stufe in die nächste die Orientierung zu erleichtern. Erschlossen werden sie über einen Gang, in dem drei Funktionsblöcke mit Sanitäreinrichtungen und Nebenräumen liegen. Dazwischen befinden sich die Garderoben, die den Gruppen zugeordnet sind.

Vom Unterricht in die Tagesstätten-Betreuung

Von hier aus betritt man entweder den 38 qm großen Klassen- oder den Tagesstättenraum, beide über eine große Schiebetür miteinander gekoppelt. Dazwischen geschaltet sind Ruhe- sowie dunkle Seh-Erziehungsräume, in denen die Sehfähigkeiten der Schüler individuell gefördert werden. Eine Gruppe setzt sich aus vier bis sieben Schülern zusammen, die ungefähr das gleiche Leistungsniveau haben. Pflegerische Bedürfnisse und therapeutische Maßnahmen werden soweit möglich in den schulischen Alltag eingebunden. Dieser beginnt in der Regel um 7:45 und endet um 15:30 Uhr. Nach dem Unterricht wird die Betreuung in der Tagesstätte fortgesetzt. Das Mittagessen nimmt jede Gruppe im eigenen Tagesstättenraum ein. Es wird in einer Verteilerküche angeliefert, dort in Wagen geladen und dann in die einzelnen Gruppen transportiert. Auch die Mahlzeiten sind Teil des individuellen Förderprogramms. Ziel kann zum Beispiel sein, besser Schlucken zu lernen oder alleine mit dem Löffel zu essen. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung wird den Schülern des Internats zuteil. Es befindet sich im südlichsten Gebäuderiegel auf zwei Geschossen. Derzeit beherbergt es 20 Schüler in Einzel- und wenigen Doppelzimmern. Diese sind an den Wochenenden zu Hause oder werden bei Bedarf auch das ganze Jahr über betreut. Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Architekten allerdings dem Leitsystem, das den sehbehinderten Schülern zur Orientierung im Gebäude und auf dem Gelände dient. Dabei verzichteten sie in Übereinstimmung mit der Bauherrin, der Blindeninstitutsstiftung Würzburg, bewusst auf ein Farbleitsystem. Stattdessen wurden nur wenige, kontrastierende Materialien eingesetzt, um eine reizarme Umgebung zu schaffen: Alle Schulflure sind mit einem Muschelkalk-Belag versehen. Decken, Stützen und Fassadenwände bestehen aus Sichtbeton. Die übrigen Wände sind hell verputzt. Davon heben sich die Türen in Kirsche deutlich ab und signalisieren "Hier geht's rein". Nur die Linoleum- Böden der Schulbereiche stufen sich in Farben von Beige über Orange, Rot und Rot- Braun farblich ab. Im Internat wurde ein Pendant in Dunkelgrün verlegt.

Es muss nicht immer Farbe sein

Sensibel nutzen die Planer die Topographie des Geländes, unterschiedliche Raumhöhen, hierarchisierende Wegebeziehungen, Lichtsituationen, Akustik, Kontraste und Leitlinien, um den Schülern eine Orientierung zu ermöglichen. "So hat das Gebäude durch die Hanglage zum Beispiel ein Oben und ein Unten, dem Räumlichkeiten und Funktionen zugeordnet werden können", erläutert der Architekt Simon Wetzel. "Die Räume im Erdgeschoss sind nach Norden höher. Entsprechend sind hier die öffentlichen Bereiche wie Pausenhalle und Veranstaltungssaal untergebracht." Der Hauptkorridor ist höher und breiter als die Nebenkorridore in den Schulflügeln. Umlenkungen werden durch Raumaufweitungen angekündigt. Außerdem sorgt die Lage der Flure für unterschiedlich erlebbare Tageslichtsituationen, die sich den Bereichen Schule, Therapie, Hauptkorridor und so weiter zuordnen lassen. Das Kunstlicht folgt diesem System: Die Flure werden linear ausgeleuchtet, während sich zur Kennzeichnung von Kreuzungspunkten und Raumaufweitungen Rasterbeleuchtungen an den Decken befinden. Etwa dort, wo die Garderoben sind. Durch den Einsatz unterschiedlicher Materialien ändert sich auch die Akustik der Räume. So hat der steinerne Hauptkorridor zum Beispiel einen anderen Nachhall als die durch Holzeinbauten geprägten Schulflure. "Aufgrund der vorher genannten Orientierungshilfen wurde auf Blindenleitlinien im Gebäudeinnern bewusst verzichtet", erläutert Simon Wetzel. "Es gibt allerdings welche im Außenbereich, zum Beispiel auf dem großen Vorplatz." Schulrektor Wolfgang Lebert weiß, dass Blindenleitlinie nicht gleich Blindenleitlinie ist: "Man muss darauf achten, dass die Höhe der Rillen und die Abstände dazwischen sinnvoll gewählt sind. Sonst verschmutzen sie und sind nicht mehr als Leitlinien zu erkennen." Als taktile Führung im Gebäude haben alle Flure doppelte Handläufe. Vor den Treppenaufgängen und den Aufzügen befinden sich Noppenfelder, die auf Hindernisse aufmerksam machen. Auch in der Sporthalle bewahrt ein Randstreifen aus speziellem Noppenbelag die Schüler davor, den Wänden zu nahe zu kommen. "Es war allerdings gar nicht so einfach, ein passendes Fabrikat zu finden", erinnert sich Wetzel. "Denn bei den meisten Produkten auf dem Markt waren die Noppen nicht hoch genug, um als Aufmerksamkeitsfeld erkannt zu werden." Zum Einsatz kam schließlich der Belag Loges von Firma Mondo. Das Therapiebecken im angrenzenden Schwimmbad ist mit einer aufwändigen Hubtechnik ausgestattet. So können auch Kinder mit schwersten Behinderungen Bewegungserfahrungen im Wasser sammeln. Dank lichtdurchflutetem Verbindungsgang gelangen Schüler, Therapeuten und Lehrkräfte sommers wie winters trockenen Fußes vom Schul- in den Sportflügel und umgekehrt.

Gute Voraussetzungen

Wolfgang Lebert war zunächst skeptisch, ob eine Schule für seh- und mehrfachbehinderte Kinder ohne Farbleitsystem funktionieren kann. "Heute weiß ich, dass die Architekten dafür gute Voraussetzungen geschaffen haben. Außerdem ergeben sich durch die zurückhaltenden Materialien individuelle Gestaltungsmöglichkeiten." Offen blieb dagegen die Frage, ob im Foyer und im Hauptkorridor schallabsorbierende Maßnahmen erforderlich sind. Diese wurden bisher aus Kostengründen zurückgestellt. Im laufenden Betrieb sollte sich zeigen, ob sie tatsächlich notwendig sind. Heute steht fest, dass ihr Fehlen eine deutliche Halligkeit in den Räumen erzeugt. Das hat den Nachteil, dass sehbehinderten Schüler im Korridor, in dem Erd- und Obergeschoss durch einen Luftraum miteinander verbunden sind, nur schwer oder gar nicht unterscheiden können, ob sich ein Geräusch auf ihrer oder der anderen Ebene befindet. "Der Vorteil ist, dass hier ein Klangraum entstanden ist, wie er sonst nur in Kirchen erfahren werden kann", weiß Lebert. "Es gibt nicht sprechende Kinder, die durch diese Halligkeit zur Lautproduktion ermutigt werden und sich an ihrer eigenen Stimme erfreuen." Jetzt gilt es, Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Wofür sich die Verantwortlichen auch entscheiden: Es wird nichts daran ändern, dass sich die Schüler schon heute gut in ihrer neuen Umgebung aufgehoben fühlen.

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