Klingelanlage-Türsprechanlage
Ein schwerhöriger, ertaubter oder gehörloser Mensch steht vor der Haustür eines Mehrfamilienhauses, sucht das Namensschild "Müller" auf dem Klingeltableau, drückt den Knopf - und nun?
Vorschläge zu barrierefreien Türöffnern. Viele Personen sind täglich den Barrieren, die Klingelanlagen hervorrufen, ausgesetzt. Doch es gibt Wege diese Hindernisse zu umgehen.
Die Haustür ist für alle da
Von Carsten Ruhe und Klaus-Dieter Wüstermann
Die Planer könnten Sehbehinderten und Hörbehinderten aus einer argen Klemme helfen
Sehbehinderte, Sehschwache, Schwerhörige, Ertaubte oder Gehörlose haben ein Problem, das zu lösen der folgende Beitrag helfen soll. Das Problem nämlich, vor Haustüren mit Gegensprechanlage den Gegebenheiten vollkommen hilflos ausgeliefert zu sein: Sie hören oder sehen nichts und wissen nicht, was los ist oder gerade passiert. Dabei wäre es so leicht, diesen vielen Menschen ganz konkret zu helfen, mit technischen Lösungen nämlich, die leicht zu realisieren wären. Auch - und vor allem - die Planer sind hier aufgerufen, behindertengerechte Haustürtechniken einzufordern, denn Haustüren für alle sind bessere Haustüren.
Das ist jedem von uns schon häufig passiert: Wir stehen vor der Haustür eines Mehrfamilienhauses, suchen das Namensschild "Müller" auf dem Klingeltableau und drücken den Klingelknopf. Herr Müller fragt über die Sprechanlage nach unserem Namen und unserem Begehr, wir identifizieren uns und sagen dazu unser Sprüchlein auf. Herr Müller drückt auf den Taster "Tür öffnen" seiner Gegensprechanlage, der Türöffner summt leise, (genauer gesagt: leise brummt nur die elektromechanische Vorrichtung im speziellen Schließblech zur Fallenfreigabe, eben der so genannte "Türöffner"). Wir drücken - sofern wir das leise Geräusch wegen des Verkehrslärms überhaupt gehört haben - den Türflügel auf und gehen hinein. Ein alltägliches Ereignis, ein banaler Vorgang, nicht nur für uns und für unseren Herrn Müller.
Übrigens: In vielen Arztpraxen ist der Knopf im Klingeltableau mit dem Türöffner verbunden, also betätigen wir beim Klingeln auch den Türöffner - ganz ohne Benutzung der Sprechanlage. Wenn die Türdichtungen leicht unter Spannung stehen, dann springt die Tür von allein auf und wir können hineingehen.
Es gibt viel mehr behinderte Menschen als wir denken.
Jeder von uns kennt Menschen mit motorischer Behinderung: Rollstuhlfahrer, Rollatorschieber, Unterarmstützenläufer usw. Tatsächlich gibt es aber eine weit größere Zahl behinderter Menschen, deren motorische Fähigkeiten nicht eingeschränkt sind. Das sind zum Beispiel Menschen mit Defiziten der Sensorik, also Blinde, Sehbehinderte und Sehschwache, Schwerhörige, Ertaubte und Gehörlose. Man erkennt sie nicht sofort, denn wenn Augen oder Ohren ihren Dienst versagen, kann man das auf Anhieb nicht erkennen. Wohl aber sieht man die alte Dame am Rollator, das Verkehrsunfallopfer mit Gehhilfen ("Krücken") und den querschnittgelähmten Herrn im Rollstuhl.
Sehgeschädigt sind viele, denn Brillenträger sind häufig. Den Grad der Sehschädigung kann man aber auch nicht ohne Weiteres erkennen. Sehbehinderte fallen allenfalls auf, wenn sie zum Beispiel von einem Blindenhund begleitet werden. Aber nur jeder hundertste Blinde hat einen solchen Hund. Und Menschen mit Hörschädigungen fallen noch seltener auf, obwohl sie fast ebenso häufig sind. Nach Angaben der Verbände ist im Alter von über 50 Jahre jeder Vierte von Hörschädigungen betroffen, von über 60 jeder Dritte und bei über 70-Jährigen sogar jeder Zweite. Insgesamt geht man von fast 14 Millionen hörbeeinträchtigten Menschen in Deutschland aus. Und für die gilt vorrangig das hier Geschriebene.
Und jetzt das Ganze noch mal von vorn:
Ein schwerhöriger, ertaubter oder gehörloser
Mensch steht vor der Haustür eines Mehrfamilienhauses,
sucht das Namensschild "Müller"
auf dem Klingeltableau, drückt den
Knopf - Sie kennen die Geschichte. Der Angeklingelte
fragt über die Sprechanlage nach
Namen und Begehr des Klingelnden, der
hört aber nichts, kann also auch nicht antworten
und geht enttäuscht weg; oder er
sagt auf Verdacht vielleicht doch sein
Sprüchlein und das sogar in dem Augenblick,
in dem der Anwohner zuhört; dann
drückt dieser auf den Taster "Tür öffnen",
aber das summende Geräusch des Türöffners
hört der Wartende auch nicht. Nichts
passiert, der Besucher geht von dannen, Herr
Müller wartet vergeblich.
Auch ein alltägliches Ereignis, ein banaler Vorgang. Bei starkem Verkehrslärm passiert das durchaus auch Hörenden.
Zwar gibt es Gegensprechanlagen, die im Klingeltableau eine kleine Kamera und in der Sprechstelle in der Wohnung kleine Bildschirme haben. Der Besucher kann so erkannt werden - vorausgesetzt, der Gehörlose besucht nicht einen Blinden! Aber solche Luxusanlagen sind teuer und auch nur eine Informations-Einbahnstraße. Der Besucher kann nämlich nicht sehen, dass der Anwohner zu ihm spricht; deshalb kann er auch nicht antworten. Wenn aber der Besucher nichts hört und/oder sieht, so kann der Anwohner dennoch über die Kamera beobachten, wie der Besucher enttäuscht von dannen zieht.
Übrigens: In Arztpraxen wartet der Ertaubte vor der Gegensprechanlage, bis der nächste (hörende) Patient ihn mit hineinnimmt, es sei denn, die Tür springt automatisch auf oder die Sprechstundenhilfe kommt und öffnet die Tür.
Die große Lösung
Haustüren müssten statt mit Türschließern nach DIN EN 1154 [1] grundsätzlich mit ATS-Türschließern nach DIN 18263-4 [2] ausgestattet werden, die eine elektromechanische Vorrichtung zum Öffnen des Drehflügels haben - einen Drehflügelantrieb. Dann betätigt Herr Müller mit der Taste "Tür öffnen" nicht nur die Fallenfreigabe, sondern per Impuls und mit leichter Zeitverzögerung auch den Drehflügelantrieb. Der hörgeschädigte Besucher hört zwar auch jetzt nichts, sieht aber den sich öffnenden Türflügel und kann ins Haus. Auch für den Benutzer von Rollstuhl oder Rollator, für Menschen mit Kinderwagen, Fährrädern und anderem sperrigen Gerät ist der Drehflügelantrieb von Vorteil, vorausgesetzt, der Eingang ist stufenlos und die Tür mindestens 90 cm breit.
Hinzu kommt, dass vielfach Haustüren mit stählernen Rohrrahmen und schwerer Verglasung eine sehr große Türmasse haben. Diese zu bewegen, erfordert mehr Kraft, als viele, vor allem kleine, junge oder betagte Menschen haben. Denn es muss ja nicht nur die gewichtige Tür in Bewegung gebracht werden, auch die Reibungskräfte in den Bändern und Lagern sind zu überwinden und bei jeder Türöffnung muss von Hand auch die Feder im Türschließer gespannt werden, die das nachfolgende Schließen des Türflügels bewirkt. Ein Drehflügelantrieb würde die drei Forderungen aus dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) erfüllen, nämlich ein Türöffnen:
- in der allgemein üblichen Weise
- ohne besondere Erschwernis
- grundsätzlich ohne fremde Hilfe!
Herr Müller drückt natürlich nur dann auf die Taste des Türöffners, wenn er erkannt hat, wer denn zu ihm will. Würde dann, wenn er den Hörer der Gegensprechanlage abgenommen hat, am Klingeltableau ein Schild "Bitte sprechen" aufleuchten, könnte der schwerhörige oder taube Besucher sein Sprüchlein aufsagen, obwohl er keine Frage vernommen hat. Kennen Sie selbst dieses Nichthören von Gegensprechanlagen an Hauptstraßen? Aber keiner der namhaften Hersteller von Klingelanlagen hat so etwas bisher im Programm.
Die kleine Lösung
Das Gerät zur Fallenfreigabe, also der "Türöffner", wird mit einem Lichtsignal verbunden, das in etwa 1,3 Meter Höhe in der Türzarge angebracht wird. Beim Aufleuchten des Lichtsignals parallel zum (unhörbaren) Summen des Fallenfreigebers nimmt der Hörgeschädigte dieses optische Signal wahr und kann dann wie üblich die Tür aufdrücken. Damit wäre die obige Ziffer 1 nach BGG § 4 erfüllt.
Eine ähnliche Wirkung hätte ein Quittungssignal, das, eingebaut im Klingeltableau, optisch signalisiert, dass Herr Müller die Taste "Tür öffnen" betätigt hat. Bei der typischen Haltung während des Wartens auf Einlass liegt es aber oft nicht im Blickfeld.
Den Türzubehörfirmen, wie zum Beispiel den Herstellern von Geräten zur Fallenfreigabe, sollte es ein Leichtes sein, ein solches Zusatzlichtsignal, zum Beispiel in einem verlängerten Schließblech, zu entwickeln und auf der nächsten einschlägigen Messe vorzustellen. Gleiches gilt für die Hersteller der Sprechanlagen und der Klingeltableaus. Kurzfristig gab es bei einigen großen Herstellern Interesse an diesen Lösungsvorschlägen. Es ist aber - offenbar mangels Nachfrage - wieder eingeschlafen. Wichtig ist also, dass die Planer diese Lösungen einfordern und in ihre Ausschreibungen aufnehmen.
Unsere Vorschläge zu barrierefreien Türöffnern lösen bei Weitem nicht alle Probleme von Menschen mit sensorischen Einschränkungen am Hauseingang. Wie "liest" zum Beispiel ein Blinder die Namen auf dem Klingeltableau? [3] Die üblichen Felder in Klingeltableaus für die Namensschilder haben so geringe Maße, dass man dort keine abtastbaren Normalschriftschilder unterbringen könnte, wie sie zum Beispiel von ILIS hergestellt werden. Hat der Planer die Bedürfnisse Sehbehinderter nach Helligkeit (Leuchtdichte) und Kontrast berücksichtigt? Auch die Beleuchtung der Hauseingänge ist oft so dürftig, dass selbst normal Sehende ihre Probleme beim Lesen der Klingelschilder und bei der Orientierung haben.
Schwerhöriger Anwohner
Die folgende Beschreibung betrifft nicht den schwerhörigen Besucher vor dem Eingang, sondern eine Situation mit betagten Anwohnern. Sie freuen sich über Besuch, vernachlässigen dabei aber die eigene Sicherheit.
Eine im Alter hochgradig schwerhörige Frau mit nachlassender Sehkraft wohnt in einer Wohnanlage für alte Menschen. Um die Bewohner vor Überfällen zu schützen, hat der Betreiber eine Klingelanlage mit Gegensprechanlage einbauen lassen. Sie ist so geschaltet, dass man an den Taster für den "Türsummer" nur dann herankommt, wenn man vorher den Handapparat (Hörer) abnimmt. Damit will man erreichen, dass zunächst tatsächlich die Gegensprechanlage benutzt und gefragt wird, wer vor dem Hauseingang steht, bevor man vielleicht ungebetene Gäste einlässt, welche die alten Leute überrumpeln und ausrauben. Die alte Dame kann wegen ihrer Schwerhörigkeit diese Gegensprechanlage nicht bestimmungsgemäß nutzen, lüftet deshalb nur jeweils kurz den Handapparat, drückt auf den Knopf und hängt dann wieder ein. Anschließend öffnet sie die Wohnungstür und wartet darauf, dass der Besucher die Treppen heraufgestiegen kommt. Da sie nicht mehr gut stehen kann, setzt sie sich in ihr Wohnzimmer und wartet an ihrem Lieblingsplatz (mit Blick aus dem Fenster, aber mit dem Rücken zur Tür) [4].
Hätte die Gegensprechanlage auch eine Videokamera mit Bildschirm in der Wohnung, dann könnte die alte Dame vielleicht mit dem kleinen Display und ihrem restlichen Sehvermögen auch nicht viel erkennen. Oft merken sehschwache ältere Personen auch nicht, dass sie die Brille putzen müssen, um ihre verbliebene Sehstärke optimal nutzen zu können. Glücklicherweise haben heute die Kameras auch einen Leuchtring, dessen Licht den Besuchern direkt ins Gesicht scheint. Die Funzel über der Tür reicht nämlich oft nicht aus, um den Besucher zu erkennen, insbesondere, wenn sich die Lampe (mit Blickrichtung aus der Kamera) im Rücken des Besuchers befindet.
Der Spion in der Wohnungstür ist zwar gut gemeint, aber ebenfalls keine Hilfe: Er ist für die alten Leute mit krummem Rücken viel zu hoch angebracht (das Loch muss ein Handwerker mit "Gardemaß" damals in seiner eigenen Augenhöhe gebohrt haben), eine angemessene Höhe von 130 Zentimeter über dem Fußboden ist jeweils weit überschritten. Mit Brille ist der Blickwinkel trotz Fischaugenoptik sehr klein und auch die Lampe auf dem Treppenpodest stellt (wie unten an der Haustür) den Besucher in seinen eigenen Schatten.
Auch in Hotels ist die Flurbeleuchtung üblicherweise in der Mitte und nur selten eine Lampe direkt vor der Zimmertür angebracht. Ausländische Gäste mit geringen Kenntnissen der Landessprache haben dann die selben Probleme wie die alte Dame, denn sie können durch die geschlossene Tür mit hoher Schalldämmung nicht hören, wer draußen steht.
Appell an die Planer
Gefragt sind also noch weitere Lösungen. Dieses hier sind nur Denkanstöße. Eine große Zahl unserer Bürger wartet auf Angebote der Türenindustrie und der Hersteller von Türzubehör. Und natürlich auch auf Bauherren, Investoren, Architekten, Haustechnik-Planer und ausführende Handwerksbetriebe, die diese Techniken dann auch für ihre Bewohner und Nutzer einfordern, anbieten und anwenden!
Wie heißt es in unserer Verfassung? "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden!" [5] Das darf doch wohl nicht nur auf dem Papier stehen!
Die Vorschläge von Ruhe und Wüstermann wurden inzwischen realisiert. Bei einem Wohnobjekt mit ca. 100 Wohnungen in Berlin am S-Bahnhof Friedenau wurden die Klingel-/Gegensprechanlagen erneuert. Bei fünf Aufgängen in der Baumeisterstraße, Sponholzstraße und Semperstraße wurden dabei auf Vorschlag von Herrn Wüstermann die Klingeltableaus entsprechend der im Text so genannten "Kleinen Lösung" gestaltet.
Die Klingeltableaus erhielten dabei oberhalb der Klingel-/Namensschildflächen zwei große Leuchtflächen (siehe Bild). Diese sind mit "Bitte sprechen" und "Tür frei" beschriftet und werden bei Aktivität hinterleuchtet.
Nach dem Drücken eines Klingeltasters wird, wenn sich der Angerufene in der Wohnung meldet, die Fläche "Bitte sprechen" hinterleuchtet und der hörbehinderte Besucher an der Haustür kann sein Begehren sagen. Wenn der Mensch in der Wohnung dann die Freigabe drückt, wird nicht nur die Fallenfreigabe betätigt (der so genannte "Türöffner"), sondern auch das Schild "Tür frei" hinterleuchtet, so dass der Hörbehinderte nun sieht, dass die Tür frei gegeben ist und er die Tür aufdrücken kann.
C. Ruhe und KD Wüstermann
Allen Beteiligten ist an dieser Stelle für die Unterstützung dieser innovativen Baumaßnahme und Ausführung entsprechend den Wünschen und planerischen Vorgaben zu danken um so hörbehinderten Menschen zu helfen.