Wohnformen für Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf#print

Änderung der Musterbauordnung (MBO)

"Besonderen Wohnformen für volljährige Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf" werden Sonderbau

Die Fachkommission der Bauministerkonferenz legte Ende Mai 2011 einen Entwurf zur Ergänzung der Musterbauordnung vor, und wurde mit Beschluss vom 31.05./01.06.2011 beauftragt, die bereits als Entwurf vorliegende Muster-Verordnung über Anforderungen an Wohnungen und Einrichtungen für volljährige Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung (MWoPV) fertigzustellen.

Die bauaufsichtliche Regelung für Wohngemeinschaften, in denen sich volljährige Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf zusammenfinden "(zur Zeit z.B. allein in Berlin rund 350 Pflegewohngemeinschaften und rund 450 Wohngemeinschaften für Menschen mit Behinderung)", nimmt damit konkrete Formen an. Das für die Länderbauordnungen wegweisende Gremium aller Landesminister der Bauressorts trägt damit einer gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung.

Üblicherweise dienen die von der Bauministerkonferenz entwickelten Muster-Regeln als Vorlage für die Bauordnungen der Länder, in welche sie jeweils einzeln übernommen werden müssen. Bis dahin kann in Ermangelung einer landesspezifischen Regelung jedoch eine Musterverordnung als Grundlage für Planungen dienen und auch von Bauaufsichtsbehörden zur Begründung von Auflagen herangezogen werden.

Betroffen sind Wohneinheiten, in denen Menschen Aufnahme finden, die nicht unbedingt in einem Heim betreut werden wollen oder müssen mit mehr als sechs volljährigen Bewohnern mit Pflege- und Betreuungsbedarf.

ein Einzelbett mit einem Nachttisch steht auf einem TeppichbodenMann sitzt aufrecht im Aufstehbettseitenverstellbares WC2 Möbelpacker tragen ein Sofa

Die Wohnung ist privater, oft in einem Bestandsgebäude in den Kiez integriert, bietet aber den medizinischen und pflegerischen Standard sowie hauswirtschaftlichen Service größerer Einrichtungen. Möglich ist auch, in einem Gebäude mehrere solcher Einheiten unterzubringen, was organisatorische Vorteile bietet.

Nach dem derzeitigen Regelungsstand lösen "Besondere Wohnformen" bei den zuständigen Behörden "besondere Ratlosigkeit" aus. Inhaltliche Parallelen zum Krankenhaus- und Heimbau (z. B. Personenkreis) verbunden mit entscheidenden Abweichungen (z. B. Personenzahl) ohne anwendbare Sonderbauvorschriften provozieren unterschiedliche mehr oder auch weniger angemessene Auflagen.

  • Welcher Personenkreis hat ein Anrecht auf besonderen Schutz?
  • Wo sind angepasste Maßnahmen angezeigt?

Die Problematik, die hier entsteht, ist unabhängig von der Rechtsform der Nutzergemeinschaft ist. Entscheidend ist nicht, ob die Betroffenen selbst die Wohnung angemietet haben, und sich Pflege, medizinische Leistungen und zum Beispiel Haushaltshilfen selbst bestellen, oder ein Träger alle Leistungen als Komplettpaket anbietet, und die Bewohner allein mit dem Träger ein Vertragsverhältnis eingehen. Hier geht es darum, ob die Nutzer in der Lage sind, sich im Brandfall selbst aus dem Gefahrenbereich zu retten. Exemplarisch genannt seien hier Demenzkranke, deren Einrichtungen zum Schutz vor Weglaufen gesichert werden, Patienten mit apallischem Syndrom ("Wachkoma"), mit Beatmungsbedarf oder auch allein in ihrer Geh- oder Sehfähigkeit Beeinträchtigte Personen.

Im Vergleich zu durchschnittlichen Wohnungen ergeben sich hier an die Feuerwehr und unter Umständen auch an das Gebäude andere Ansprüche: Es brauchen anteilig deutlich mehr Menschen Hilfe bei der Flucht. Es werden unter Umständen besondere Rettungsgeräte benötigt. Nicht alle Rettungswege sind hier gleichermaßen geeignet. Geht man im Wohnungsbau davon aus, dass eine von außen erreichbare Stelle am Gebäude zum Anleitern als zweiter Rettungsweg hinreichend sein kann, ist dies bei bettlägerigen, evtl. zusätzlich dauerhaft auf technische Gerätschaften angewiesenen Patienten nicht vorstellbar. Auch kann es zum Beispiel erforderlich werden, die Brandschutzeigenschaften der Raumdecken zu erhöhen, um im Brandfall länger die Tragfähigkeit für Rettungsmaßnahmen zu erhalten, sowie Türen angemessen zu ertüchtigen, um entsprechend längere Zeit vor Rauchausbreitung zu schützen.

Hierzu galt es nun, eine möglichst praktikable, allgemein anwendbare Lösung zu finden. Eine Projektgruppe erarbeitete im Auftrag des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen (ASBW) der Bauministerkonferenz einen Entwurf und bat Betroffenenverbände, Träger, Architekten- und Ingenieurkammern, Fachverbände (Brandschutz, Immobilienwirtschaft, Pflege), Sozialressorts und Feuerwehren um Stellungnahmen.

  • Ab welcher Personenzahl oder Fläche, bei welcher Behinderung ist eine besondere Regelung erforderlich?
  • Wie kann diese allgemein formuliert werden, ohne in Grenzbereichen absurde Auflagen nach sich zu ziehen?
  • Was kann von der Feuerwehr geleistet werden?
  • Welche Kosten dürfen entstehen und welcher zusätzliche organisatorische Aufwand? Welche Anpassungsfristen sind realistisch?

Aus rund 40, zum Teil sehr ausführlichen, Bewertungen und einer nachfolgenden mündlichen Anhörung am 10. März 2011 der angesprochenen Parteien entstand so der nun vorliegende Entwurf zur Ergänzung der Musterbauordnung um die entsprechende Sonderbaueigenschaft dieser Besonderen Wohnformen. Diese soll zukünftig unter § 2 Abs. 4 Nr. 9 der Musterbauordnung (MBO) stehen, und gelten für:

"Gebäude mit Nutzungseinheiten zum Zwecke der Pflege oder Betreuung von Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, wenn die Nutzungseinheiten

  • einzeln für mehr als 6 Personen oder
  • für Personen mit Intensivpflegebedarf bestimmt sind, oder
  • einen gemeinsamen Rettungsweg haben und für insgesamt mehr als 12 Personen bestimmt sind,"ii

Der Entwurf für eine entsprechende Muster-Sonderbauverordnung (MWoPV) existiert bereits.iii Mit dem Beschluss der Fachkommission Bauaufsicht vom 31.05/01.06.11 zur Fertigstellung dieser Verordnung wird so die bauaufsichtliche Grundlage geschaffen, dass im Rahmen des Anwendungsbereiches

  • den Bewohnern ein angemessenes Sicherheitsniveau bereitgestellt wird,
  • den mit der Wohnform berührten Personenkreisen (Träger, Vermieter,...) Rechtssicherheit vermittelt wird, und
  • das einheitliche Handeln der Vollzugsbehörden sichergestellt ist.iv

Mit Inkrafttreten der angepassten Musterbauordnung wird ein Baugenehmigungsverfahren Pflicht. Dieses beinhaltet ein Brandschutzkonzept. Mit Inkrafttreten der Sonderbauvorschrift gelten einheitlich weitergehende Anforderungen.

Ob in jedem Einzelfall eine wirklich passende Lösung zwischen den Beteiligten vereinbart werden kann, hängt auch von der Umsicht der Planer ab. Träger und Betreiber solcher Wohneinheiten sind aufgefordert, bei neuen Projekten diese Anforderungen zu berücksichtigen, denn es ist damit zu rechnen, dass Aufsichtsbehörden zeitnah damit arbeiten werden. Bestehende Einrichtungen werden innerhalb einer noch nicht feststehenden Frist angepasst werden müssen. Ob, und in welcher Höhe, Träger für die Umsetzung solcher Maßnahmen die Kosten an die Bewohner weitergeben werden, bleibt abzuwarten.

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